Atomphysik: Quanten, Symmetrien, Antimaterie

Stefan Stohl

Uran-Röntgenspektrum

Die Welt komplexer Antimaterie ist in vielen Facetten noch unerforscht. Abgebremste Antiprotonen eröffnen der Atomphysik ein völlig neues Forschungsgebiet: die exakte Vermessung von Antiatomen (Antiwasserstoff). Davon erhoffen sich die Physiker Rückschlüsse auf die fundamentalen Symmetrien beziehungsweise Symmetrieverletzungen zwischen den Naturgesetzen unserer Welt und einer Welt, die aus Antimaterie besteht. Darüber hinaus ermöglicht die neue Anlage FAIR durch Messungen an hochgeladenen Ionen die Überprüfung des Coulomb-Gesetzes in extrem starken elektromagnetischen Feldern. Auch direkt anwendungsrelevante Gebiete, wie die Materialforschung und Biophysik, profitieren von der neuen Anlage.

Die Materie auf unserer Erde ist im Wesentlichen aus Atomen aufgebaut. Atome besitzen einen positiv geladenen Atomkern und negativ geladene Elektronen, die sich in großem Abstand um den Kern bewegen. Ein Atom ist nur ein zehnmillionstel Millimeter groß, der Kern noch zehntausend Mal kleiner! Zwischen Elektron und Kern wirkt die Coulombkraft, die zu den vier fundamentalen Wechselwirkungen gehört, welche die Welt „zusammenhalten“: Gravitation, schwache, starke und elektromagnetische Wechselwirkung.

Nur auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob sich die Elektronen um den Kern wie Planeten um die Sonne bewegen würden. Bei genauerem Hinsehen sieht man jedoch große Unterschiede: Die Elektronen fliegen nicht auf definierten Kreis- oder Ellipsenbahnen, sondern halten sich mit gewissen Wahrscheinlichkeiten an verschiedenen Orten im Raum auf. Dies wird durch die Quantentheorie gut erklärt, die die Teilchen nicht als einfache „Massekügelchen“, sondern als so genannte Quantenobjekte beschreibt, die sowohl Eigenschaften von Teilchen als auch von Wellen haben. Aber auch das Vakuum zwischen den Elektronen und dem Kern hat erstaunliche Eigenschaften. Die große Energie des elektromagnetischen Feldes erzeugt Photonen und Elektron-Positron-Paare. Diese Teilchen existieren nur für extrem kurze Zeiträume und werden wieder absorbiert oder vernichten sich gegenseitig. Die virtuellen Teilchen verursachen eine Verschiebung der möglichen Energiezustände der Elektronen, die so genannte Lamb-Verschiebung. Dies wird von der Theorie der elektromagnetischen Wechselwirkung (Quantenelektrodynamik) vorhergesagt. Messungen der Lamb-Verschiebung erlauben eine hochsensitive Überprüfung dieser Theorie, die Grundlage aller gegenwärtigen Beschreibungen der Wechselwirkung im Mikrokosmos ist – von den Elementarteilchen über die Atomkerne, Atome und Photonen bis zu den komplexesten Eigenschaften der Festkörper.

Aufnahme eines Spektrums mit vier eindeutigen Peaks.

Röntgenspektrum von Uran-Ionen mit nur einem Elektron

Während die Gültigkeit der Quantenelektrodynamik in niedrig geladenen Systemen („schwachen Feldern“) mit extremer Präzision bestätigt werden konnte, ist dies bei sehr hohen elektromagnetischen Feldern nicht der Fall. Ideales Experimentierfeld ist ein Uran-Atom mit nur einem Elektron (man bezeichnet dies als „wasserstoffähnlich“). Zum einen bietet dieser Kern das höchste im Labor erzeugbare elektromagnetische Feld und damit die größtmögliche Anzahl virtueller Teilchen. Zum anderen erlaubt es die Reduzierung der Elektronenhülle auf nur ein Elektron, die quantisierten Energiezustände des verbliebenen wasserstoffähnlichen Uran-Ions (91+) unbeeinflusst von anderen Elektronen zu messen. Im direkten Vergleich mit den genauestens bekannten Energiezuständen des Wasserstoffs, der „Mutter“ aller Atome, werden dann die quantenelektrodynamischen Effekte der starken Felder besonders deutlich.

An der Anlage der GSI können schon heute diese wasserstoffähnlichen Uran-Ionen hergestellt werden. Dazu werden Uran-Atome mit hohen Geschwindigkeiten durch Folien geschossen, so dass alle 92 Elektronen abgestreift werden. Im Neuen-Experimentier-Speicher-Ring (NESR) werden diese „nackten“ Uran-Ionen für längere Zeit auf stationären Bahnen gehalten. Mit speziellen Techniken (Wechselwirkung mit einem Gas- oder Elektronenstrahl) kann dann ein Elektron eingefangen werden. Aus der Analyse der Strahlungsquanten, die beim Übergang in den „Grundzustand“ des jetzt wasserstoffähnlichen Uran-Ions emittiert werden, beziehungsweise durch genau definierte Anregung dieses Elektrons mit Laserlicht lassen sich dann die Energieniveaus genau vermessen. An der neuen Anlage werden Uran-Ionen mit höchster Intensität und Energieschärfe zur Verfügung stehen. Es wird dann möglich sein, die Lamb-Verschiebung mit extremer Präzision zu bestimmen und damit die Theorie der fundamentalen elektromagnetischen Wechselwirkung auch im Bereich der stärksten elektromagnetischen Felder viel genauer als bisher zu überprüfen. Kaum eine andere physikalische Theorie konnte bisher und wird in absehbarer Zeit mit einer derartigen Genauigkeit getestet werden.

Die Erzeugung von Antiprotonenstrahlen an der neuen Anlage FAIR eröffnet für die Atomphysik noch weitere, neue Experimentiermöglichkeiten. Werden die Antiprotonen im NESR abgebremst und anschließend in einer so genannten „Ionenfalle“ fast vollständig gestoppt, lassen sich durch den Einfang eines Positrons neutrale Antiwasserstoff-Atome herstellen. Antiwasserstoff-Atome bestehen aus einem Antiproton im Kern und einem Positron (Antielektron) in der Hülle. Das Herausragende an der neuen Anlage wird sein, dass diese Anti-Atome vollständig abgestoppt und wie „herkömmliche“ Wasserstoffatome spektroskopisch untersucht werden können. Dadurch wird es möglich werden, die Eigenschaften von Atomen aus Antimaterie genau zu bestimmen. Das bedeutet, dass zum Beispiel die Anregungsniveaus des Positrons im Antiwasserstoffatom exakt vermessen werden können. Der Vergleich mit denen eines Elektrons in einem Wasserstoffatom wird dann grundlegende Einblicke in die Struktur und Eigenschaften der Antimaterie liefern und damit in die fundamentalen Symmetrien oder Symmetrieverletzungen zwischen „Welt“ (Wasserstoffatom) auf der einen und „Antiwelt“ (Antiwasserstoffatom) auf der anderen Seite. Vereinfacht gesagt: Wir werden erfahren, ob die Antiwelt sich exakt spiegelbildlich zu unserer Welt verhält, wie es vom „Standardmodell“ vorausgesagt wird – oder eben nicht. Zum Beispiel stünde ein Symmetriebruch der grundlegendsten, der „CPT-Symmetrie“, im krassen Widerspruch zu diesem Modell und würde unser physikalisches Weltbild revolutionieren. Andererseits wäre dies eine Erklärung dafür, warum kurz nach der Entstehung des Universums („Urknall“) offenbar diese Symmetrie verletzt wurde und (etwas) mehr Materie als Antimaterie entstanden beziehungsweise übrig geblieben ist.

Die elektromagnetische Wechselwirkung von Ionenstrahlen in Materie bildet auch die Grundlage für die Materialforschung und biophysikalische Forschung. Materialforschung untersucht die Wirkung von Ionenstrahlen in Festkörpern. Dies wird heute schon für verschiedene Anwendungen, wie zum Beispiel die Herstellung von präzisen Filtern, genutzt. Die biophysikalische Forschung beschäftigt sich mit der Wirkung von Ionenstrahlen in Zellen. Daraus ist an der bestehenden GSI-Anlage eine neuartige, sehr erfolgreiche Krebstherapie mit Ionenstrahlen hervorgegangen. In beiden Bereichen werden die höheren Energien und Intensitäten der Ionenstrahlen neue Untersuchungsmöglichkeiten und damit verbunden neue Anwendungen ermöglichen.

 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/experimente/teilchenbeschleuniger/fair/atomphysik/