Fasern als Minikraftwerk

Jan Oliver Löfken

Ein gespanntes Seil

Das T-Shirt als autarkes Kraftwerk: Mit einem neuen Prototyp für eine stromerzeugende Faser ist eine internationale Forschungsgruppe dieser Zukunftsvision nun ein großes Stück näher gekommen. Mithilfe Tausender Nanoröhrchen aus Kohlenstoff sponnen sie einen festen und flexiblen Faden, der beim Dehnen genug Elektrizität für den Betrieb von Sensoren und Leuchtdioden liefert. Wie die Forscher in der Fachzeitschrift „Science“ berichten, erreichen ihre Stromfasern eine Leistung von bis zu 250 Watt pro Kilogramm und damit deutlich mehr als andere bisher entwickelte Stromfasern.

Gemeinsam mit seinen Kollegen züchtete Ray Baughman von der University of Texas in Dallas mehrwandige Nanoröhrchen aus Kohlenstoff, die auf einer Unterlage senkrecht nebeneinander stehen. Über ein spezielles Spinnverfahren verdrillten die Forscher diese Nanoröhrchen dann zu einem eng verzwirbelten Faden, der sich elastisch auseinanderziehen ließ. Anschließend tränkten sie den Faden in einer Kochsalzlösung, denn in solchen Elektrolyten können sich elektrische Ladungen gut bewegen. So verwandelten sich die verdrillten Fasern zu einer Art Kondensator, der auch kleine Mengen elektrischer Ladungen speichern kann.

Werden diese Stromfasern nun bis um ein Drittel gedehnt, werden sie schmaler und die elektrischen Ladungen des Elektrolyten nähern sich einander an. Diese mechanische Bewegung erzeugte im Experiment kleine Spannungspulse von etwa 80 Millivolt bei einer Stromstärke von einigen Dutzend Mikroampere. Mit den besten verdrillten Stromfasern erzielten die Wissenschaftler so bei dreißig zyklischen Dehnungen pro Sekunde eine Leistung von bis zu 250 Watt pro Kilogramm. Da die einzelnen Fasern mit einigen Mikrogramm sehr leicht waren, fiel die Stromausbeute pro Faser zwar gering aus, reichte jedoch zum Betrieb einer Leuchtdiode oder – eingewoben in einen Stoff – zur Versorgung eines Pulssensors aus.

„Elektrische Energie aus Körperbewegungen zu gewinnen ist eine Strategie, um Batterien in intelligenter Kleidung zu ersetzen“, so Baughman. Mit diesen stromerzeugenden Garnen wollen die Forscher aber nicht nur eine mobile Stromquelle entwickeln, die sich etwa in Sportkleidung zum Betrieb von Sensoren eignet und Akkus überflüssig machen könnte. Auch für einen neuen Typ kleiner Wellenkraftwerke seien zu dickeren Tauen gebündelte Stromfasern geeignet. Eingespannt zwischen einer Schwimmboje und einem Senkblei könnten diese Taue bei jeder Welle gedehnt werden und mit den dabei entstehenden Spannungspulsen einen Kondensator oder Akku nach und nach aufladen. Mit dem so gewonnenen Strom ließen sich etwa Messbojen autark betreiben. Vor einer praktischen Anwendung gilt es jedoch, die Fertigungskosten der heute noch relativ teuren Kohlenstoffnanoröhrchen drastisch zu senken.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/technik/nachrichten/2017/fasern-als-minikraftwerk/