Elektronen mit negativer träger Masse

Elektronen zeigen in Halbleiterkristallen bei starker Beschleunigung durch ein elektrisches Feld eine negative träge Masse

Einjustieren des Experiments

Einjustieren des Experiments

Berlin - Die träge Masse eines Körpers entspricht dem Verhältnis von Kraft zu Beschleunigung und ist für gewöhnlich positiv: Die Beschleunigung erfolgt in Richtung der wirkenden Kraft. Auch die Bewegung von Elektronen in Kristallen folgt im Normalfall dieser Gesetzmäßigkeit. In extrem hohen elektrischen Feldern zeigt sie indes ein völlig anderes Verhalten, berichten nun Physiker um Wilhelm Kühn vom Max-Born-Institut in Berlin. Demnach können Elektronen in Halbleiterkristallen sogar eine negative träge Masse annehmen.

In ihrem Experiment beschleunigen die Forscher Elektronen im Halbleiterkristall Galliumarsenid durch einen extrem kurzen elektrischen Impuls, dessen Feldstärke 30 Millionen Volt pro Meter beträgt. Auf diese Weise erhalten die Teilchen in nur 100 Femtosekunden (0,000 000 000 000 1 Sekunden) eine Geschwindigkeit von vier Millionen Kilometer pro Stunde. Gleichzeitig messen die Wissenschaftler mit hoher Präzision die Geschwindigkeit der Elektronen als Funktion der Zeit.

Die Elektronen spüren bei ihrer Reise durch den Kristall nicht nur die von außen angelegte Kraft, sondern auch die periodisch angeordneten Anziehungskräfte der positiv geladenen Atomkerne. Zunächst läuft alles wie gewohnt, doch sobald die Bewegungsenergie der Elektronen in einen bestimmten Energiebereich – rund zwei Elektronenvolt – steigt, ändert sich das Verhalten: „Will man das Teilchen nun mit Hilfe des äußeren elektrischen Feldes weiter beschleunigen, bremst es ab. Es kann sogar seine Bewegung umkehren“, berichtet Teammitglied Michael Wörner.

Genau diesen Fall konnten die Forscher nun in ihrem Experiment beobachten. Die der Kraft entgegengerichtete Beschleunigung lässt sich nur durch eine negative träge Masse des Teilchens erklären, berichten Kühn und seine Kollegen im Fachblatt Physical Review Letters.

Der Physiker Felix Bloch hatte vor mehr als 80 Jahren Berechnungen durchführt, die dieses Phänomen in Festkörpern vorhersagen. Bisher waren Wissenschaftler jedoch nicht in der Lage, auf so kurzen Zeitskalen so hohe elektrische Felder anzulegen. Und dies ist nötig, da der Kristall sonst zerstört würde, bevor die Elektronen die nötige Geschwindigkeit erreicht hätten.

Kühn und seinen Kollegen zufolge eröffnet ihre Arbeit einen bisher nicht zugänglichen Bereich des Ladungstransports, der möglicherweise neue Perspektiven für zukünftige Bauelemente der Mikroelektronik aufzeigt.

 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2010/elektronen-mit-negativer-traeger-masse/