Warum sich rote Blutkörperchen zu Pantoffeln formen

Physiker zeigen in Simulationen, dass Zellen in engen Blutgefäßen offenbar besser im Fluss bleiben, wenn sie eine asymmetrische Pantoffelform annehmen

Grenoble (Frankreich)/Atlanta (USA) - Was durch enge Röhren will, macht sich besser schlank. Das gilt offenbar auch für rote Blutkörperchen, wenn sie sich durch kleine Blutgefäße bewegen. Dabei verformen sich die Zellen von runden Scheiben zu einer Art unregelmäßiger Pantoffeln - seit rund 40 Jahren rätseln Wissenschaftler über die Gründe. Jetzt zeigen Physiker in Frankreich und den USA, dass die Verformung offenbar Vorteile bei niedriger Fließgeschwindigkeit bringt. Symmetrische Formen werden dann instabil. In der Pantoffelform hingegen können die Zellen besser mit dem fließenden Blutplasma mithalten, vermuten die Forscher in den "Physical Review Letters". Weil die bisherige Simulation allerdings von einer stark vereinfachten Zellstruktur ausgeht, sind diese Ergebnisse noch umstritten. Doch die Forscher hoffen, sie könnten damit künftig bei der Diagnose von Krankheiten helfen, die das Blut beeinträchtigen.

"Wir entdeckten, dass die Pantoffelform von einem Stabilitätsverlust der symmetrischen Form herrührt", schreibt das Team um Chaouqi Misbah, Physiker an der Université Joseph Fourier Grenoble I und Direktor am staatlichen französischen Forschungsinstitut CNRS. "Die Verformung zu einer Pantoffelform senkt deutlich die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen der Zelle und dem aufgezwungenen Fließen, liefert für die roten Blutkörperchen also eine höhere Fließeffizienz". Misbah simulierte des Modell gemeinsam mit Badr Kaoui, Gast von der marokkanischen Université Hassan II in Casablanca, und George Biros vom Georgia Institute of Technology in den USA. Das Team simulierte die roten Blutkörperchen als Bläschen mit flexibler Membran, in ihrer Grundform kreisrund und an den flachen Seiten bikonkav, nach innen gewölbt. Dann simulierten sie den Einfluss von Druck, vor allem einer mitreißenden Flüssigkeit, auf die Form der Membran. Eine bekannte Zwischenform zwischen rund und pantoffelförmig ist die "Fallschirm-Form", in der die Zellen zwar eingedellt, aber noch achsensymmetrisch sind.

Ergebnis: Sogar wenn sich die Modellzellen in einer idealen Flüssigkeit mit symmetrisch verteilter Fließgeschwindigkeit bewegen, verformen sie sich ins Asymmetrische - bei niedrigen Fließgeschwindigkeiten und wenn die Fläche der Membran unter einen bestimmten Schwellenwert zusammengepresst wird. Allerdings zeigte sich auch, dass weder die Elastizität der Membran noch die Größe des Blutgefäßes eine wesentliche Rolle spielten. "Das ist ein wichtige Beitrag zum Feld der Zelldynamiken", schreibt ein Team um Howard A. Stone von der Princeton University in einem begleitenden "Viewpoint"-Kommentar, es eröffne für die Dynamik roter Blutzellen unter Fließbedingungen eine neue Perspektive. Allerdings müsse untersucht werden, wie das Verformen der Zellen physiologische Faktoren beeinflusse, etwa die Fähigkeiten der Zellen zum Sauerstofftransport oder die Wechselwirkung mit anderen: Frühere Studien hatten gezeigt, dass die chemischen Reaktionen roter Blutkörperchen mit ihrer Mechanik zusammenhängen.

Bisher arbeiteten die Forscher nur mit einem sehr vereinfachten Modell der Zellen: mit zweidimensionalen Bläschen, umschlossen von einer Doppelmembran. In Wirklichkeit bestehen die roten Blutkörperchen, so genannte Erythrozyten, aus einer dreidimensionalen bikonkaven Membran und sind in ihrem Inneren zudem durch Strukturproteine vernetzt. Diese bilden ein sehr flexibles so genanntes Zytoskelett. Dessen Einfluss will das Team in den nächsten, realistischeren Simulationen mit einberechnen und obendrein Wechselwirkungen mit Gefäßwänden berücksichtigen. Auch wollen sie die Situation betrachteten, dass sich im Blut häufig ein kleiner Stapel der flachen Scheiben bildet. Schließlich glauben Misbah und Kollegen, ihre Simulation könne etwa bei der Malariadiagnose helfen, da Krankheiten wie Malaria die Steifigkeit der Membranen beeinflussten. Wenn man dann die Form echter Zellen mit den Vorhersagen des Modells vergliche, könnten sich infizierte Zellen erkennen lassen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2009/warum-sich-rote-blutkoerperchen-zu-pantoffeln-formen/