Das Herschel-Weltraumobservatorium

Volker Ossenkopf

Herschel

Das am 14. Mai 2009 gestartete Weltraumobservatorium Herschel wird völlig neuartige Beobachtungen im Fern-Infrarot-Bereich ermöglichen. Es kombiniert ein 3,5-Meter-Spiegelteleskop mit den hochempfindlichen Instrumenten „SPIRE“, „PACS“ und „HIFI“, die die Strahlung von interstellaren Staub- und Gaswolken vermessen können. Die Beobachtungen mit Herschel werden dazu beitragen, Fragen zur Entstehung von Sternen und Galaxien zu beantworten.

Astronomie im fernen Infrarot

Das Bild zeigt interstellare Wolken im Bereich des Kreuzes des Südens, die mit den Herschel-Instrumenten PACS und SPIRE kartiert wurden. Im Falschfarbenbild sind drei Fern-Infrarotwellenlängen – 70, 160 und 350 Mikrometer – in die sichtbaren Farben blau, grün und rot übersetzt worden.

Erste Kartierung der interstellaren Wolken im Bereich des Kreuzes des Südens

Im Jahre 1800 untersuchte der deutsch-britische Astronom William Herschel die Strahlung der Sonne und fand heraus, dass es jenseits des roten sichtbaren Lichtes noch eine unsichtbare Strahlung gibt, die sich dadurch bemerkbar macht, dass sie ein Thermometer aufheizt. Damit hatte er die Infrarotstrahlung und ihren Charakter als Wärmestrahlung entdeckt und den Grundstein für die Infrarotastronomie gelegt. Über 200 Jahre später, am 14. Mai 2009, wurde mit dem nach ihm benannten Observatorium das größte jemals gebaute Weltrauminfrarotteleskop gestartet.

Der Name ist natürlich Programm: Das Teleskop wird Strahlung aus dem Universum im Infrarotbereich beobachten. Während William Herschel nur die bis zum Erdboden durchdringende kurzwellige Strahlung des nahen Infrarot untersuchen konnte, wird das Herschel-Weltraumobservatorium die Strahlung im fernen Infrarotbereich messen, für die unsere Atmosphäre undurchlässig ist. Sie kann deshalb nur direkt im Weltraum beobachtet werden. Das Licht aus dem Weltraum, das mit dem Auge gesehen werden kann, ist hauptsächlich das Licht der Sterne. Zwischen den Sternen ist das Weltall aber nicht leer. Vielmehr befinden sich dort Wolken aus interstellarem Gas und Staub. Wenn diese Wolken das Sternenlicht reflektieren, kann man ihre Oberflächen auch mit einem normalen Teleskop sehen.

In sie hineinsehen kann man aber nur mit Infrarotlicht – sichtbare Strahlung wird von den Wolken verschluckt. Jede Materie reflektiert aber nicht nur einfallendes Licht, sondern gibt selbst Wärmestrahlung entsprechend ihrer Temperatur ab. Zwischen der Temperatur und der Wellenlänge der Strahlung gibt es dabei eine feste Beziehung (siehe Infokasten „Das Plancksche Strahlungsgesetz“). Bei den Fern-Infrarot-Wellenlängen um hundert Mikrometer, die das Herschel-Weltraumobservatorium beobachtet, sind das genau solche Wolken, die Temperaturen von einigen zehn Grad über dem absoluten Nullpunkt besitzen.

Die Physik interstellarer Wolken

In den interstellaren Wolken läuft ein permanenter Wettkampf ab: Die Gravitation versucht, die Materie unter ihrem eigenen Gewicht zusammenstürzen zu lassen, während der thermische Gasdruck durch die ständige Bewegung aller Teilchen die Wolken auseinandertreibt. Wenn die Gravitation gewinnt, kollabieren die Wolken, verdichten sich immer weiter und bilden schließlich neue Sterne und Planetensysteme.

Fotomontage: Eine Illustration zeigt das Herschel-Weltraumteleskop mit seinem 3,5-Meter-Spiegelteleskop sowie den Kältetank, der die empfindlichen Instrumente beherbergt. Ein silbrig glänzendes Sonnenschild, das auch die Solarpanele trägt, schützt den Satelliten vor der heizenden Sonnenstrahlung. Im unteren Teil des Satelliten sind die elektronische Steuerung und die Systeme zur Kommunikation mit der Erde untergebracht. Im Hintergrund Aufnahmen von interstellaren Wolken und einigen Sternen.

Das Herschel-Weltraumteleskop

Die kalten Wolken, die das Herschel-Teleskop beobachtet, sind genau solche Geburtsstätten junger Sterne. Der gleiche Prozess läuft und lief auch auf den Skalen von Millionen Lichtjahren ab und führt dort zur Bildung ganzer Galaxien aus intergalaktischen Wolken. Die Hauptaufgabe von „Herschel“ besteht somit in der Erforschung der Entstehung von Sternen und Galaxien. Hier gibt es noch viele offene Fragen, die erst durch neue Beobachtungen gelöst werden können:

  • Wie verändern turbulente Bewegungen des Gases den Sternentstehungsprozess?
  • Welche chemische Zusammensetzung besitzen die Wolken, und wie spiegelt sich das in der Zusammensetzung der entstehenden Sterne und Planetensysteme wider?
  • Wie sind die ersten Sterne und Galaxien überhaupt entstanden?

Durch die wissenschaftliche Analyse der Daten, die das Herschel-Observatorium in den nächsten Jahren zur Erde senden wird, werden wir in der Lage sein, hierauf Antworten zu geben.

Die Technik des Observatoriums

Der Satellit, der das 3,5 Meter große Infrarotteleskop trägt, wurde mit einer Ariane-5-ECA-Trägerrakete vom Weltraumbahnhof der ESA in Kourou (französich Guyana) gestartet und auf die Reise zu seiner endgültigen Umlaufbahn geschickt. Seine Gesamtmasse von 3,4 Tonnen musste auf eine Geschwindigkeit von mehr als 40 000 Kilometer pro Stunde beschleunigt werden, damit er seine endgültige Beobachtungsposition erreichen konnte.

Diese befindet sich nicht in einer Erdumlaufbahn, sondern in einer Bahn um den Lagrange-Punkt L2 des Erde-Sonne-Systems – einem Punkt, der sich von der Sonne aus gesehen immer in einem Abstand von 1,5 Millionen Kilometern hinter der Erde befindet. Dieser Ort hat den Vorteil, dass die Messungen nicht von der Wärmestrahlung der Erde gestört werden. Da aus Sicht des Satelliten Erde und Sonne immer in der gleichen Richtung stehen, konnte man außerdem die Solarpanele und die Richtfunkantenne für den Kontakt zur Erde fest montieren.

Start der Trägerrakete mit HerschelHerschel-Start am 14. Mai 2009

Video: Herschel-Start am 14. Mai 2009

Allerdings ergeben sich aus dieser Konfiguration auch praktische Probleme für den Missionsbetrieb. Um das Satellitensignal aus 1,5 Millionen Kilometern Entfernung auffangen zu können, ist eine der wenigen großen Antennen des Deep-Space-Netzwerkes von Bodenstationen nötig. Diese drehen sich aber mit der täglichen Rotation der Erde immer wieder aus dem Sichtfeld das Satelliten, so dass nur einige Stunden Kontakt besteht.

Daneben benötigt das Funksignal für den weiten Weg hin und zurück allein zehn Sekunden – in dieser Zeit kann sich der Satellit fast um ein halbes Grad drehen. Eine direkte Steuerung des Teleskopbetriebs von der Erde aus ist damit ausgeschlossen. Alle Beobachtungen während eines Tages müssen vorprogrammiert ablaufen. In der Nacht wird das Programm für den kommenden Tag zum Satelliten gesendet, und erst in der darauffolgenden Nacht erfährt man, ob alles funktioniert hat, und erhält die Messdaten. Dies stellt natürlich extreme Anforderungen an die Qualität der Hardware und der Programmierung. Jeder Programmfehler könnte einen ganzen Beobachtungstag zunichte machen.

Die eigentlichen Messungen werden mit drei hochempfindlichen Instrumenten durchgeführt, auf die das Teleskop die empfangene Infrarotstrahlung bündelt. Der Aufbau der Instrumente ist so komplex, dass sich für ihre Entwicklung etwa fünfzig wissenschaftliche Institute zusammenschließen mussten. SPIRE ist die Kombination einer Kamera mit einem Spektrometer niedriger Auflösung bei sehr langen Wellenlängen. Sie ermöglicht, im Infrarothintergrund des Universums einzelne Galaxien zu detektieren und so die Geschichte der Galaxienentstehung zu verfolgen.

Von der Sonne aus gesehen befindet sich in einem Abstand von 1,5 Millionen Kilometern hinter der Erde der so genannte Lagrange-Punkt L2. Hier heben sich Fliehkraft und Erdanziehung so weit auf, dass eine stabile Bahn möglich wird. Aufgrund dieses Vorteils wird das Herschel-Teleskop, das um L2 kreist, in den kommenden Jahren eine Reihe von „Nachbarn“ bekommen.

Der Lagrange-Punkt L2

PACS kombiniert eine Kamera für etwas kürzere Fern-Infrarot-Wellenlängen mit einem Spektrometer mittlerer Auflösung. Es kann die genaue Verteilung und Zusammensetzung des interstellaren Staubs in Sternentstehungsgebieten beobachten. Seine Empfindlichkeit reicht auch aus, um früheste Galaxien zu beobachten. HIFI ist ein hochgenaues Spektrometer mit extremer Auflösung. Es erlaubt, die einzelnen Linien der Strahlung der Atome und Moleküle in interstellaren Wolken zu beobachten, um die chemische Zusammensetzung und die einzelnen Gasbewegungen in den Wolken zu verfolgen.

Teleskop und Instrumente müssen möglichst kalt sein, damit ihre eigene thermische Strahlung das astronomische Signal nicht überdeckt. Die hohe Empfindlichkeit aller drei Instrumente wird nur dadurch erreicht, dass ihre Detektoren mit flüssigem Helium auf Temperaturen von wenigen Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt werden. Allerdings verdampft das Helium nach und nach. Die 3000 Liter Helium an Bord werden für eine Beobachtungszeit von etwa dreieinhalb Jahren reichen.

Danach ist das Observatorium unbrauchbar und wird in die Tiefen des Weltalls entlassen. Für die Wissenschaftler läuft deshalb momentan ein Rennen mit der Zeit, um jede Sekunde der verbleibenden Beobachtungszeit so gut wie möglich zu nutzen und die Entstehung von Sternen und Galaxien zu erkunden.

Die Grafik zeigt die Intensität der Strahlung eines schwarzen Körpers als Funktion der Wellenlänge für verschiedene Temperaturen des Körpers. Regenbogenfarben veranschaulichen den schmalen Bereich des sichtbaren Lichtes, der von etwa 400 bis 800 Nanometer reicht. In der Abbildung sieht man, dass bei einem Strahler einer Temperatur von 6000 Kelvin das Maximum der Intensität gerade bei sichtbarem Licht auftritt, während ein Strahler von 600 Kelvin sich nur noch über Infrarotstrahlung – also bei Wellenlängen über 800 Nanometern – bemerkbar macht.

Intensität der Strahlung eines schwarzen Körpers

Jeder Körper sendet elektromagnetische Strahlung in Form von Licht oder Wärmestrahlung aus. Das Plancksche Strahlungsgesetz beschreibt, wie ein Körper einer gegebenen Temperatur bei verschiedenen Wellenlängen strahlt. Es zeigt das Spektrum der Intensität der Strahlung als Funktion der Wellenlänge. Dabei wird ein idealer Strahler, ein sogenannter „schwarzer Körper“, betrachtet, der keine Strahlung reflektiert, sondern nur absorbiert oder emittiert. Reale Stoffe weichen immer etwas vom idealen schwarzen Körper ab, so dass ihr Spektrum gegenüber dem Schwarzkörperspektrum etwas „verbogen“ wird. Die generelle Frequenz-Temperatur-Zuordung wird dadurch aber nur wenig gestört.

Das Wiensche Verschiebungsgesetz quantifiziert nun den Zusammenhang zwischen der Wellenlänge des Maximums der Intensität, λmax, und der Temperatur des Strahlers T folgendermaßen: λmax · T = 2,9 mm K. Einsetzen von 6000 Kelvin für T liefert ein λmax von 480 Nanometern – eine Wellenlänge im sichtbaren Bereich –, während ein Strahler mit einer Temperatur von dreißig Kelvin das Maximum der Intensität bei einer Wellenlänge von hundert Mikrometer, also im fernen Infrarot, produziert.

 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/herschel-weltraumobservatorium/