Stimmen zum Gammateleskop MAGIC

Dirk H. Lorenzen

Supernova-Überrest Cassiopeia A

Das MAGIC-Teleskop steht auf La Palma 2225 Meter über dem Meeresspiegel am Vulkanhang knapp unterhalb des Kraterrandes. Es registriert schwache blaue Blitze in der Atmosphäre, sogenannte Tscherenkow-Strahlung. Sie entsteht, wenn äußerst energiereiche Gammateilchen aus dem Weltall in die Erdatmosphäre treffen und dabei zerstrahlen. MAGIC – das größte Teleskop seiner Art – öffnet gleichsam ein neues Fenster und gibt den Blick frei auf die energiereichsten Prozesse im Universum.

Das Teleskop heißt MAGIC – und der Name scheint Programm: Denn das Teleskop beobachtet Teilchen, die gar nicht bis ins Teleskop gelangen – und die in einem Bereich leuchten, den das Teleskop gar nicht sieht. Das klingt in der Tat ganz schön magisch – doch die Forscherinnen und Forscher tricksen nicht, sie nutzen einfach ein paar physikalische Effekte, erklärt Rudolf Bock vom Münchner Max-Planck-Institut für Physik:

Vor karger Landschaft ein silbriges Gerüst aus einer Ansammlung vieler metallisch glänzender Platten, die gekrümmte Fläche bilden – über diese Fläche wölbt sich ein ovales Gestänge, an dessen Spitze eine Kiste montiert ist.

Das MAGIC-Teleskop auf La Palma

„Rast so ein Teilchen der Gammastrahlung aus den Tiefen des Alls in die Atmosphäre, dann zerstrahlt es und erzeugt neue Teilchen geringerer Energie. Schließlich ist von dem ursprünglichen Teilchen nichts mehr da – aber dafür gibt es immer mehr Teilchen mit immer niedrigeren Energien, die in der Atmosphäre sozusagen langsam versickern. Leichte geladene Teilchen – zum Beispiel Elektronen – senden Tscherenkow-Strahlung aus, während sie durch die Atmosphäre laufen. Diesen Effekt hat der russische Physiker Pawel Tscherenkow vor langem entdeckt. Tscherenkow-Strahlung ist sichtbares Licht. Das sind optische Quanten, die zu uns kommen, weil die Atmosphäre für optische Strahlung durchlässig ist. Genau diese Strahlung beobachten wir – und rekonstruieren dadurch, was sich da oben ereignet hat.“

MAGIC beobachtet also die Teilchen der Gammastrahlung nicht direkt – das geht nur vom Weltraum aus –, sondern blickt gleichsam auf die Lawine von neuen Teilchen, die jedes Gammateilchen in großer Höhe auslöst. Daraus lässt sich die Energie des Ursprungsteilchens bestimmen, ebenso wie die Richtung, aus der das Teilchen gekommen ist.

Auf einer grünen Metallplatte sitzen zwei mit einem Seil gesicherte Personen. Vor ihnen ein geöffneter Bereich des Teleskops, in dem zahlreiche wabenartige silbrig glänzende Strukturen zu sehen sind.

Zwei Physiker beim Einbau der Kamera

Das Teleskop ist eine offene Gitterkonstruktion, die nicht in einer Kuppel, sondern einfach so im Freien steht. „Der Spiegel hat 17 Meter Durchmesser. Aber er besteht nicht aus einem Stück, sondern knapp tausend Segmenten“, erklärt Florian Goebel vom Max-Planck-Institut (MPI) für Physik und blickt dabei begeistert auf die vielen glitzernden Spiegelsegmente. „Diese Einzelspiegel sind jeweils einen halben Meter mal einen halben Meter groß. Vier Einzelspiegel bilden zusammen ein Panel. Jedes Panel hat eine aktive Steuerung, die kleine Deformationen der Teleskopstruktur ausgleicht. Das Teleskop ist also in jeder Position optimal fokussiert. Die Spiegel bestehen aus Aluminium – sie reflektieren das Licht sehr gut und sind trotzdem sehr leicht. Das ist wichtig, um das Teleskop sehr schnell bewegen zu können.“

Um mit dem etwa 240 Quadratmeter großen Spiegelteleskop überhaupt etwas vom schwachen blauen Blitzen in der Atmosphäre zu sehen, muss MAGIC an einem perfekt dunklen Standort stehen – La Palma ist da europaweit die erste Wahl. Beobachtet wird zudem nur in wirklich dunklen Nächten rund um Neumond. Und selbst dann bekommen Rudolf Böck und seine Kollegen nur einen Hauch von Information.

„Das Bild besteht aus sehr wenig Photonen. Wenn man optisch, zum Beispiel mit unserem Auge in den Himmel sieht, dann sieht man sehr viel Licht. Das sind unglaublich viele Photonen und deshalb sehen wir wunderschöne Bilder. Die Bilder, die wir in diesem Gammateleskop sehen, die bestehen aus wenigen hundert Photonen. Das sind extrem kurze Lichtblitze, die mit bloßem Auge gar nicht wahrnehmbar sind. Aber die Photozellen sind empfindlich genug, sie aufzunehmen und in den Computer zu leiten.“

So aufwendig die Beobachtung ist, so faszinierend ist die Forschung, die sich mit Gammateleskopen machen lässt: Gammastrahlung – soviel ist klar – entsteht nicht in „normalen“ Objekten wie der Sonne, sondern nur bei ganz außergewöhnlichen physikalischen Bedingungen, freut sich Florian Goebel:

In strahlender Sonne ein silbrig glänzendes Gerüst in karger Landschaft. Die Hauptgitterstruktur ist erst von wenigen Metallplatten bedeckt.

MAGIC in strahlender Sonne

„Es gibt sehr viele verschiedene Quellen, die Gammastrahlung erzeugen. Eines haben sie alle gemeinsam. Es sind sehr energiereiche und sehr große Objekte. Zum Beispiel saugen riesige Schwarze Löcher im Zentrum von Galaxien Materie an, wirbeln sie um sich herum und schleudern sie wieder heraus – dabei wird so viel Energie frei, dass diese Gammastrahlen erzeugt werden. Andere Quellen sind Überreste von Supernovae, also von großen Sternexplosionen. Das sind die klassischen Quellen, die man schon mit anderen Teleskopen gesehen hat. Wir wollen auch schnell auf Gammastrahlenblitze reagieren. Diese Ausbrüche dauern maximal einige Minuten und werden von Satelliten registriert, die uns automatisch alarmieren. Wir können MAGIC innerhalb von zwanzig Sekunden auf die entsprechende Position am Himmel ausrichten. Es wäre eine Sensation, wenn wir die Gammastrahlenblitze direkt sehen könnten!“

Eckart Lorenz, emeritierter Projektleiter am MPI für Physik, ist gleichsam der „Vater“ des MAGIC-Projekts. Für den Physiker, der früher an Beschleunigern gearbeitet hat, ist MAGIC wissenschaftlich sehr vielseitig:

„Wir haben zwei Arbeitsrichtungen: Zum einen beobachten wir die astronomischen Objekte im All. Zum anderen geht es aber auch um Fragen der Grundlagenphysik. Wir suchen nach der Dunklen Materie. Die macht den größten Teil der Materie aus. Wir wissen ja fast nichts von unserem Universum – man kennt nur einen relativ kleinen Anteil. Was der Rest ist, ist uns unbekannt. Man muss aber die Dunkle Materie verstehen, um überhaupt ein physikalisches Gesamtbild zu bekommen, wie unser Kosmos entstanden ist."

Teilchen und Antiteilchen von Dunkler Materie könnten zerstrahlen und dabei Gammateilchen erzeugen, die sich – träfen sie in die Erdatmosphäre – mit MAGIC nachweisen ließen. Das internationale Team, das MAGIC betreibt, erforscht also nicht nur bekannte Physik – mit etwas Glück wird das Teleskop ganz neue Phänomene aufspüren.

Vor dunklem Hintergrund ein recht transparente Wolke in Blau, Violett und Weiß. Wolke im Innern mit weißen Nebelfetzen stark strukturiert – im Zentrum ein schwacher Stern.

Gammastrahlenquelle: Der Supernova-Überrest Cassiopeia A

Eckart Lorenz erinnert sich noch gut an den Moment, der ihn – wie er selbst sagt – wissenschaftlich tief aus dem Tunnel hoch auf die Berge gebracht hat: „Das war ein Erlebnis am CERN. Es gab eine Messung von Kieler Kollegen. Sie hatten einen merkwürdigen Effekt in der kosmischen Strahlung beobachtet – und zwar beim Sternobjekt Cygnus X-3. Ich kann mich genau entsinnen: Ich stand im Dunkeln auf dem CERN-Gelände und ein Kollege kam auf mich zu und sagte, da oben, da ist dieser Cygnus X-3. Und da kommt neue Physik her. Dann habe ich gesagt: Es interessiert mich, was da los ist.“

So erforscht der Physiker zwar weiterhin schnelle, energiereiche Teilchen – allerdings nutzt er nun die „natürlichen Beschleuniger“ im Weltall, deren Teilchen sich mit Hilfe der Erdatmosphäre und MAGIC beobachten lassen. Neuartige Teleskope haben bisher immer auch ganz neue Objekte gezeigt – und so öffnet sich auf La Palma mit dem MAGIC-Teleskop gleichsam ein neues Fenster hinaus ins All, durch das die Astrophysikerinnen und Astrophysiker einen Blick auf die energiereichsten Prozesse im Kosmos haben.

 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/kosmische-strahlung/detektoren/magic/stimmen-zu-magic/